Lord Peter Wimsey, der einstige Superheld, hat sein Ziel erreicht: Harriet wird ihn heiraten. Aber viel mußte er dafür opfern und hart mußte Dorothy L. Sayers arbeiten, um ihre vormals zweidimensionale Heldenfigur zu eigener Menschlichkeit gelangen zu lassen. Gleichwohl wurde ihre Mühe von den Kritikern nicht immer wohlwollend aufgenommen. Die Verfechter der reinen Detektivgeschichte, die, wie einst auch Sayers, der Meinung sind, eine Liebesgeschichte habe in einem Detektivroman nichts zu suchen, halten Gaudy Night für Sayers schlechtesten Roman. Diejenigen, die eine Entwicklung des Detektivromans hin (oder zurück) zur Novel of Manners begrüßen, halten das Buch für ihr Meisterstück. So schreibt Suerbaum, der die von Sayers in Gang gesetzte Entwicklung kritisch betrachtet:
“Was zu der Zentralfigur eines normalen Detektivromans paßt – die übermenschlichen Geistesgaben, die markierenden Eigenheiten und Manierismen, die outrierte soziale Position – das wirkt völlig überzogen und lächerlich, wenn man es konkretisiert und psychologisch erklärt. Die >Marionette< der früheren Romane mit ihrem von der Autorin beklagten begrenzten Repertoire an Tricks und Attitüden ist glaubwürdiger als die ernstgemeinte Idealkombination aus Künstler, Wissenschaftler, Sportsmann und Diplomat.”[1]
Von vielen wird Sayers’ Versuch der Neugestaltung des Genres mit Hilfe der Metamorphose Wimseys als mißglückt betrachtet. Häufig wird die frühere Gestalt Wimseys vermißt und der neue verurteilt. Patricia Craig und Mary Cadogan empfinden Lord Peter Wimseys Emotionen als lächerlich.
“Wimsey in love is a sorry figur, hedged in by emotional constraints, his advantages of no account, his absurdities underlined and his author´s want of detachment badly in view. Dorothy L. Sayers created a fantasy figure and then proceeded to lumber him with real emotions which no reader can take serious.”[2]
Tatsächlich hat Sayers mit Gaudy Night ein gewagtes Experiment gestartet. Mit ihrem Versuch, den Detektivroman zu neuen Höhen zu bringen, ihm völlig neue Wege zu öffnen, hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. Ist man als Leser in erster Linie daran interessiert, eine Detektivgeschichte als Gedankenspiel oder Rätsel zu lesen, ist man von den langschweifigen Beschreibungen der Beziehung Harriet-Peter sicherlich enttäuscht und gelangweilt.
Für den Leser jedoch, der daran interessiert ist, in einem Roman etwas über Menschen zu erfahren, und dabei die Spannung des Detektivromans nicht missen möchte, ist diese neue Form entgegenkommend. Wimsey mit seinen Schwächen und seiner neuerworbenen Vergangenheit mag nicht in allen Punkten überzeugend sein, aber in seiner Entwicklung und mit seiner Anfangsposition ist er durchaus glaubwürdig.
Nicolas Freeling hält Gaudy Night für Sayers’ bestes Buch, aber für ihre schlechteste Detektivgeschichte.[3] Während er ihren Versuch, zwei Genres miteinander zu verknüpfen, für “sometimes uneasy” hält,[4] betrachtet Julian Symons diesen als vollständig gescheitert.
“There is a breathtaking gap between intention and achievement.”[5]
Was von ihren Kritikern allerdings nicht beücksichtigt wird, ist, daß Sayers zu den ersten Autoren gehört, die diesen Schritt wagen. So wie die ersten Detektivgeschichten von E. A. Poe oder Sir Arthur Conan Doyle heute nicht mehr die Spannung aufkommen lassen, wie zu der Zeit, in der sie geschrieben wurden, so wirkt auch Sayers’ Pionierarbeit heute “uneasy”. Das liegt aber nicht daran, daß diese Pioniere schlechte Arbeit geleistet hätten, sondern daran, daß spätere Autoren auf ihren Leistungen aufbauen konnten.
7.1 Die Involvierung der Charaktere
Dorothy L. Sayers’ Romane hatten von Anfang an einen anderen Schwerpunkt als die meisten Detektivromane. Während für die Mehrheit der Detektivromane der Goldenen Ära der Begriff Whodunnit eine treffende Beschreibung war, beschäftigte sich Sayers immer mehr mit dem Wie und dem Warum. In dem überwiegenden Teil ihrer Romane wird recht schnell deutlich, wer der Täter ist. Selbst wenn man noch nicht von dem Täterklischee des genialen Wissenschaftlers gehört hätte, würde man in Whose Body? bereits innerhalb der ersten Kapitel merken, wer der Mörder ist – zumal der Name Sir Julian Freke, als Anspielung auf freak, an sich schon entlarvend ist. Auch in Strong Poison kommt trotz geschickt arrangierter Ablenkungsmanöver eigentlich nur Norman Urquhart als Täter in Frage. Was Sayers interessiert, ist die Frage, wie ein Verbrechen begangen wurde und vor allem warum.
Durch diesen Anspruch schafft sie eine weitere Möglichkeit, auf die Persönlichkeit ihrer Charaktere einzugehen. Dabei ist in Sayers’ Romanen eine Entwicklung zu beobachten, die am deutlichsten am Beispiel der Verbrecher zu erkennen ist.[6] Während diese in ihren Frühwerken noch die Charakteristika des Superverbrechers tragen, sind die Übeltäter in ihren letzten Werken “kleine Normalbürger”, die Verbrechen begehen, um sich zu rächen oder einen kleinen Schritt in Richtung Wohlstand zu machen. Die Motive werden bescheidener und sind dem Alltäglichen entnommen. Die Verbrecher der ersten Romane begehen entweder Selbstmord, oder aber der Leser wird über ihr weiteres Schicksal im Unklaren gelassen, eine Hinrichtung nur implizit angedeutet. In Gaudy Night und Busman´s Honeymoon muß sich der Detektiv und somit auch der Leser direkt mit den Tätern befassen. Dadurch wird Wimsey in starkem Maße involviert.
Im klassischen Detektivroman ist der Held als Persönlichkeit neutral. Sein Charakter, seine Empfindungen fließen nicht in die Lösung des Falles ein. Er hat eine Katalysatorfunktion. Seine Aufgabe ist es, rational Motive, Gelegenheit und Mittel des Mörders aufzudecken, um diesen letztendlich zu entlarven. Diese Situation ändert sich jedoch durch die Einführung eines Beziehungsthemas zwischen dem Detektiv und einer der Beteiligten. A. E. Murch erklärt diese veränderte Situation für den Detektiv so:
“Often enough the investigator becomes convinced that the person compromised by the evidence, usually a woman, is in reality innocent, and an element of romance, or at least of chivalry, is thus introduced.
The detective is then no longer simply an impartial enquirer whose intellectual faculties are brought to bear on the problem with ‘ice-cold logic’. The drama tends to involve him personally, appealing to his emotions and his affections may be deeply engaged, as Trent´s were by Mabel Manderson, Gethryn´s by Lucia, and Lord Peter´s by Harriet Vane.”[7]
Wenn es auch den Anschein hat, als ob E. C. Bentley und E. F. Benson Romanzen in ihren Romanen in ähnlicher Weise benutzt haben wie Sayers, so kommt doch ihr der Verdienst zu, eine bewußte Verflechtung der Romanze mit dem Detektivroman erreicht zu haben.
Mit der Einführung der Figur der Harriet war es Sayers nicht mehr möglich, die Distanz des Helden nach dem klassischen Muster, dem ihre frühen Romane noch folgten, aufrecht zu erhalten. Sie ist der Auffassung, daß wenn eine Romanze in eine Detektivgeschichte einfließt, diese Bestandteil der Lösung des Falls sein muß. Wenn dies nicht der Fall ist, verliert die ganze Geschichte an Konsistenz. Entweder die Detektivgeschichte wird zur Nebensache, oder die Romanze wird zur Farce, in der die Charaktere keinerlei Realität besitzen.[8]
Um dies zu vermeiden, muß also die Problematik der Beziehung eine ähnliche Basis haben wie der Kriminalfall. In Gaudy Night ist diese Problematik die intellektuelle Integrität. Hätte Miss de Vine vor Jahren aus Mitleid mit der Familie des Wissenschaftlers, der, um seine These zu schützen, vorsätzlich betrogen hat, ihre intellektuelle Integrität verraten, wären die Vorkommnisse im Shrewsbury College nie aufgetreten. Wären Harriet und Peter nicht bereit, die Integrität des anderen zu akzeptieren, hätte eine Beziehung zwischen den beiden keine Aussicht auf Kontinuität.
In besonderem Maße bestimmend für das Ausmaß der Involvierung des Detektivs ist auch die Frage, inwiefern er Anteil nimmt an dem Schicksal des von ihm gestellten Mörders. Im klassischen Detektivroman, so stellt Ulrich Schulz-Buschhaus fest, findet sich für moralische Betrachtungen kein Platz.
“Da das Verbrechen im pointierten Rätselroman allein als das frappanteste Beispiel eines Rätsels behandelt wurde, mußten neben seinen psychischen und sozialen auch seine moralischen Aspekte grundsätzlich ignoriert werden. Das Verbrechen galt als eindeutiges Übel und seine Bestrafung als ebenso eindeutiges Gut; denn Verbrechen und Bestrafung stellten für das Schema ja immer nur eine spannende Rätselfrage dar.”[9]
Selbst die Opfer wurden nicht als bemitleidenswert beschrieben.
In den seltensten Fällen wird in Detektivromanen darüber berichtet, wie ein gefaßter Mörder verurteilt und hingerichtet wird oder wie der Detektiv damit umgeht, daß er einen Menschen durch sein Handeln dem Henker oder lebenslanger Haft übergibt. Auch der Lord Peter Wimsey der ersten Romane macht da nur in kleinem Maße eine Ausnahme. In Whose Body? wird das Ende des Sir Julian Freke noch mit Napoleon Brandy begossen. Allerdings zeichnet sich bereits in schwachen Ansätzen ab, daß Peter sich Gedanken über sein Handeln macht. Auch Peters Gewissen entwickelt sich im Laufe der Jahre und Romane. Im Gegensatz zu den Detektiven anderer Autoren hat Wimsey moralische Bedenken gegenüber den Tätern, die er durch sein Handeln der Strafe zuführt. In Whose Body? äußert er seine Bedenken Charles Parker gegenüber, der ihn auf seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft hinweist. Aber auch diese moralische Rückendeckung kann den Anfall von shell-shock nicht verhindern. Wimsey versucht, einen Kompromiß zwischen gesellschaftlicher Verpflichtung und Gewissen zu finden. In Unnatural Death sind durch sein Eingreifen weitere Unschuldige ums Leben gekommen. In diesem Buch sucht er Trost bei Mr. Tredgold, einem Priester, der ihm hilft, indem er Peter verdeutlicht, daß er den richtigen Weg geht, wenn er dem Gesetz hilft.[10] Die Konsequenzen könne der einzelne Mensch nicht abschätzen. Aber auf die Intention käme es an. Solange Peter aus einem Rechtsempfinden handele, könne er das moralisch vertreten. Aus einer Laune heraus oder als Hobby wären seine Taten schon eher bedenklich.
In Strong Poison wird dann auch deutlich, daß Wimseys kriminalistisches Interesse zu mehr als nur einem Hobby geworden ist. Letztendlich geht es in diesem Fall um einen Menschen, der ihm viel bedeutet. Nach Strong Poison wird Peters ehemaliges Hobby immer mehr dadurch gerechtfertigt, daß es sich dabei um einen Dienst an der Gesellschaft handelt. Harriet trägt ihren Teil dazu bei, wenn sie Peter in Gaudy Night verteidigt.
“‘But what I should like to know,’ pursued Miss Barton, refusing to be diverted, ‘is wether this dilettante gentleman does anything, outside his hobbies of detecting crimes and collecting books, and, I believe, playing cricket in his off-time.’
Harriet, who had been congratulating herself upon the way in which she was keeping her temper, was seized with irritation.
‘I don´t know,’ she said. ‘Does it matter? Why should he do anything else? Catching murderers isn´t a soft job, or a sheltered job. It takes a lot of time and energy, and you may very easily get injured or killed. I dare say he does do it for fun, but at any rate, he does do it. Scores of people must have as much reason to thank him as I have. You can´t call that nothing.’”[11]
Obwohl seine kriminalistische Beschäftigung so ihre rationale Verteidigung erfährt, plagt Peter immer noch unbewußt das Gewissen. Nach jedem Fall kommt es zu Schockzuständen, die durch die Verantwortung für das Leben – oder den Tod – eines Menschen ausgelöst werden. In Busman´s Honeymoon ist es Wimsey mittlerweile schon fast zuwider, sich an der Aufklärung des Verbrechens beteiligen zu müssen. Harriet fragt ihn, ob die Polizei denn wirklich von ihm erwarten könne, selbst in seinen Flitterwochen noch Verbrechen aufzuklären. Er antwortet, daß er gar nicht anders kann:
“‘I can´t wash my hands of a thing, merely because it´s inconvenient to my lordship,(…). I hate violence! I loathe wars and slaughter, and men quarrelling and fighting like beasts! Don´t say it isn´t my business. It´s everybody´s business.’”[12]
Die Aufklärung von Verbrechen ist nicht mehr nur ein Hobby. Es ist zu Peters Lebensaufgabe geworden, der er sich nicht mehr ohne Verlust der Selbstachtung entziehen kann.
7.2 Das Gewissen des Detektivs
Dorothy L. Sayers beschäftigt sich in ihren späten Detektivromanen in zunehmendem Maße mit der Frage, was mit den Tätern geschieht. In Gaudy Night wird viel darüber gesprochen, wie die Mitglieder des Senior Common Rooms der Familie des unehrenhaften Pförtners Jukes helfen,[13] nachdem sie ihn entlassen mußten. Wimsey wird in diesem Roman der Täterin bei der Lösung des Falles direkt gegenübergestellt und sie spuckt ihm für seine Handlungsweise ins Gesicht. In Busman´s Honeymoon wird beschrieben, wie Peter und Harriet ihre Zeugenaussagen machen müssen, wie der Täter zum Tode verurteilt wird und nicht bereit ist zu bereuen. Es wird gezeigt, wie sehr Wimsey unter dem Bewußtsein leidet, einem Menschen das Leben zu nehmen. Harriet als Peters Ehefrau ist es, der in dieser Situation die Rolle zu kommt, Peter Halt zu geben. Sie kann ihm nicht die Last des Gewissens nehmen, aber sie kann ihm helfen, die Verantwortung zu tragen.
Durch die immer stärker werdende Involvierung ihrer Charaktere stellt Sayers den Kriminalfall nicht nur als Rätsel dar, sondern benutzt ihn auch, um ein zwischenmenschliches Problem exemplarisch zu verdeutlichen. Sayers benutzt die Probleme ihrer Protagonisten, indem sie Parallelen zwischen diesen und dem Kriminalfall aufbaut. In einem Prozeß der Bewußtseinsfindung erkennen die Helden ihr Problem. Die Lösung des emotionalen Problems führt zur Lösung des Falles und vice versa.
Durch die zunehmende Betonung der zwischenmenschlichen Beziehungen, dadurch daß die Beschreibung von sozialen Gruppen immer mehr Platz einnimmt und nicht zuletzt durch die Betonung der Charakterzeichnungen in Dorothy L. Sayers’ Romanen gewinnt der Detektivroman meines Erachtens an Reiz. Sayers’ Romane sind nicht nur interessante Darstellungen von Kriminalfällen und Denksportaufgaben. Sie geben auch dem Leser, der mehr von Literatur erwartet als Amüsement, die Möglichkeit, etwas über Menschen in einer ihm fremden Gesellschaft zu erfahren.
Busman´s Honeymoon, zuerst auf Anregung einer alten Schulfreundin, Muriel St. Clare Byrne, als Bühnenstück konzipiert, später dann zum Roman erweitert, ist untertitelt mit A Love Story with Detective Interruptions. In diesem Werk stehen Peter und Harriet nur noch als Ehepaar im Vordergrund. Es wird gezeigt, wie die in Gaudy Night gefundene Basis ihrer Beziehung im täglichen Leben umgesetzt werden kann. Am Anfang steht die Hochzeit des Paares in Oxford. Berichtet wird über die Vorbereitungen und die eigentliche Hochzeit aus der Sicht Dritter, wie der Dowager Duchess, der Schwägerin Wimseys oder Bunters, in Form eines Briefromans. Nach dem so gestalteten Prothalamion kehrt Sayers wieder in die gewohnte Erzählform zurück.
Für Harriet Vane ist die lange Zeit der Unentschlossenheit zu Ende. Sie hat eine Form der Partnerschaft gefunden, in der sie als Gleichberechtige behandelt und auch gefordert wird. Peter nimmt Anteil an ihrer Arbeit, fordert sie auf, ihr bestes zu geben, auch wenn sie dadurch leiden muß. Ihr Minderwertigkeitskomplex ist überwunden. Harriet kann sogar mit Peters Reichtum umgehen, wenn er sie in seinen Vermögensregelungen berücksichtigt. Auch seine großzügigen Geschenke, nicht zuletzt das neue Haus Talboys, akzeptiert sie. Sicherlich kommen hierdurch alte Ängste, ihre schwer erworbene Unabhängigkeit aufgeben zu müssen, wieder auf. Aber sie kann Peter mit Geschenken, die ihre Sorgfalt bei der Auswahl deutlich machen, beeindrucken.
Harriet und Peter reisen zu ihrer Hochzeitsreise in den Ort, in dem Harriet als Tochter eines Landarztes aufgewachsen ist. Auf Harriets Wunsch hin haben sie dort ein Haus erworben, das sie schon in ihrer Jugend bewundert hat. Als sie ankommen, müssen sie feststellen, daß trotz vorheriger Absprache keinerlei Vorbereitungen getroffen sind und der Voreigentümer nicht aufzufinden ist. Das Ehepaar nimmt die neuen häuslichen Widrigkeiten gelassen und genießt die Hochzeitsnacht. Nur Bunter, der sie natürlich begleitet, ist besorgt um die Bequemlichkeit seiner Herrschaften. Am nächsten Morgen begegnen ihnen im Haus allerlei kuriose Gestalten, wie der ortsansässige Pfarrer, Mr. Goodacre, und der Maurer und Schornsteinfeger Mr. Puffet, die für das nötige Lokalkolorit sorgen. Außerdem finden sie die Leiche des Hausbesitzers, Mr. Noakes, in ihrem Keller. Damit beginnen die “detective interruptions”.
Peter ist nicht sehr begeistert, auch in seinen Flitterwochen kriminalistisch tätig zu werden. Aber aus seiner mittlerweile etablierten sozialen Verantwortung heraus übernimmt er die Aufgabe. Hieraus ergibt sich eine erste Probe für ihre Ehe. Im Zuge der Ermittlungen wird Harriet bewußt, welche Verantwortung Peter trägt, wenn er einen Menschen indirekt zum Tode verurteilt. Sie ist entsetzt über die Vorstellung, diese Verantwortung mit ihm teilen zu müssen. Peter bietet ihr daraufhin an, mit seiner Tätigkeit aufzuhören.
“His voice was the voice of a beaten man. She was appalled, seeing what she had done.
‘Peter, you´re mad. Never dare to suggest such a thing. Whatever marriage is, it isn´t that.’
‘Isn´t what, Harriet?’
‘Letting your affection corrupt your judgement. What kind of life could we have if I knew that you had become less than yourself by marrying me?’
He turned away again, and when he spoke, it was in a queerly shaken tone:
‘My dear girl, most women consider it a triumph.’
‘I know, I´ve heard them.’ Her own scorn lashed herself – the self she had only just seen. ‘They boast of it – ”My husband would do anything for me….” It´s degrading. No human being ought to have such power over another.’
‘It´s a very real power, Harriet.’
‘Then,’ she flung back passionately, ‘we won´t use it. If we disagree, we´ll fight it out like gentlemen. We won´t stand for matrimonial blackmail.’”[14]
An dieser Stelle greift Sayers nochmals ein Thema aus Gaudy Night auf, nämlich das der emotionalen Abhängigkeit. Diesmal ist es Harriet, die in Versuchung geführt wird, Macht über ihren Partner zu gewinnen, und dieser widerstehen muß. Sie ist entsetzt, daß sie auch nur für den Bruchteil einer Sekunde der Versuchung nachgeben konnte. War sie es doch, die gefürchtet hatte, Teile ihrer Persönlichkeit in einer Beziehung aufgeben zu müssen. Nun hat sie Wimsey – der ihr gezeigt hat, daß er sie nur als gleichberechtige Partnerin akzeptieren will und ihr Selbstwertgefühl wiederhergestellt hat – dazu gebracht, bereitwillig einen Teil von sich aufzugeben. Harriet sieht jedoch sofort, daß ihre Ehe auf dieser Basis nicht funktionieren kann. Sie schätzt ihre eigene Individualität und möchte nicht, daß die ihres Mannes reduziert wird.
Am interessantesten für die Humanisierung der Figur des Lord Peter Wimsey ist das Epithalamion. Hier wird, für eine Detektivgeschichte ungewöhnlich, bis ins Detail beschrieben, wie Peter sich mit dem Resultat seiner Tätigkeit als Hobbydetektiv auseinandersetzen muß. Der Mörder soll gehängt werden. Peter will des Mörders Vergebung erbitten und wird schroff von diesem abgewiesen. So steht Wimsey anscheinend allein seinem Gewissen gegenüber. Er wird, wie so häufig, von einem nervenzusammenbruchähnlichen Anfall gepackt. Die Dowager Duchess hat deren Natur Harriet gegenüber zuvor erklärt.
“‘He doesn´t like responsibilty, you know,’ said the Duchess, ‘and the War and one thing and another was bad for people that way… .There were eighteen months…not that I suppose he´ll ever tell you about that, at least, if he does, then you´ll know he is cured… . I don´t mean he went out of his mind or anything, and he was always perfectly sweet about it, only he was so dreadfully afraid to go to sleep… and he wouldn´t give an order, not even to the servants, which made it really very miserable to him, poor lamb!…I suppose if you´ve been giving orders for nearly four years to people to go and get blown to pieces it gives you a – what does one call it nowadays? – an inhibiton or an exhibition, or something, of nerves.’”[15]
Doch wo sonst Bunter, sein Diener und Freund die heilende Kraft besaß, kommt diesmal Harriet, mittlerweile Lady Peter Wimsey, zu Hilfe. Bunter und Harriet verbünden sich, um Peter in seiner Not zu helfen. Wimsey kann seinen Stolz überwinden und an ihrer Schulter Trost finden. Harriet gesteht ihm, daß auch sie sich am liebsten in einer Ecke verstecken möchte. Er antwortet:
“‘You´re my corner and I´ve come to hide.’”[16]
An dieser Stelle wird die Beziehung zwischen Harriet und Peter ihrem letzten Test unterzogen.
“Harriets Ehe mit Peter (…) erfährt ihre Bestätigung erst dadurch, daß sie sich in dieser Situation bewährt und daß Harriet bis zu der schwersten Verantwortung, die ihr Mann zu tragen hat, vordringt. Zum ersten Mal wird in Lord Peters abenteuerliche Hochzeitsfahrt diese Beziehung zwischen Detektiv und Mörder ausdrücklich benannt und beschrieben als eine Frage der Verantwortung, und erst dadurch, daß Peter mit dieser Last der Verantwortung zu seiner Frau kommt und diese in der Lage ist, sie gemeinsam mit ihm zu tragen, wird die Liebesgeschichte und Detektivgeschichte zu einem Abschluß gebracht.”[17]
Mit dieser Szene ist die Humanisierung des Superhelden abgeschlossen.
Nach Busman´s Honeymoon tritt Lord Peter Wimsey nur noch in Kurzgeschichten auf. In The Haunted Policeman (1938)[18] wird Harriet und Peters erster Sohn geboren und in Talboys (1972)[19], einer Geschichte über den Diebstahl von Pfirsichen, haben sie bereits drei Kinder, und das Hauptthema ist die Frage der Erziehung.
6. Der Wert der Arbeit und intellektuelle Integrität
8. Die Detective Novel of Manners
[1] Suerbaum, S.123
[2] Craig & Cadogan,S. 190
[3] Freeling, S. 122f
[4] Ibid, S. 123
[5] Julian Symons: Bloody Murder, From the Detective Story to the Crime Novel: A History, S. 128, London: Faber and Faber, 1972
[6] Vgl. Schulz-Buschhaus, S. 114
[7] A.E. Murch, S. 216
[8] Vgl. The Omnibus of Crime, S. 104
[9] Schulz-Buschhaus, S. 113
[10] Vgl. Unnatural Death, S. 218-222
[11] Gaudy Night,S. 36
[12] Busman´s Honeymoon, S. 128
[13] Vgl. Gaudy Night, S. 43f.
[14] Busman´s Honeymoon, S. 303
[15] Ibid, S. 378 f.
[16] Ibid, S. 394
[17] Wölcken, S. 284
[18] Dorothy L. Sayers: “The Haunted Policeman”, in: Striding Folly, S. 57-89, London: New English Library, 1972. Erstveröffentlichung: Strand Magazine, Vol. 94, (März 1938), S. 482-494
[19] Dorothy L. Sayers: “Talboys”, in: Striding Folly, S.91-123, London: New English Library, 1972